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Jetzt mal ehrlich: Authentizität in der Kommunikation

Fachartikel — 30. September 2019

Christian Rechmann

Geschäftsführung | Strategie

1913 erscheint in der London Times eine Anzeige, die Sir Ernest Henry Shackleton vor seiner Expedition in die Antarktis verfasst hatte: „Männer für eine riskante Reise gesucht. Geringe Heuer. Bitterkalt. Lange Monate der absoluten Dunkelheit. Ständige Gefahr. Sichere Heimkehr zweifelhaft. Ehre und Anerkennung im Falle des Erfolges.“

1986 fährt ein roter Audi Quattro eine finnische Skisprungschanze hoch.

2005 erscheinen Plakate für die Marke Dove: Die abgebildeten Frauen sind für Werbefiguren ungewöhnlich natürlich, weitgehend unretouchiert und überraschend rundlich.

2012 springt Felix Baumgartner für Red Bull aus der Stratosphäre – 39 km zurück zur Erde.

Was haben diese Inszenierungen gemeinsam?

Sie alle sind Werbung, zeigen echte Begebenheiten und waren damit außergewöhnlich erfolgreich: Ernest Shackleton generierte mit seiner äußerst ehrlichen Kleinanzeige weit mehr Bewerber als für seine gefährliche Expedition in die Antarktis nötig. Audi positionierte sich mit dem Skischanzen-Spot als „Erfinder des Quattro“. Dove hat sich mit seiner „Initiative für wahre Schönheit“ zu einer Marke gemacht, deren Wert heute auf fast 4 Milliarden US-Dollar geschätzt wird – noch Anfang der 1990er Jahre wurde Dove mit 200 Millionen US-Dollar bewertet. (Quelle: Absatzwirtschaft, 2013). Und Red Bulls Stratos-Sprung gilt als das bis heute erfolgreichste Owned-Media Projekt: Mit Investitionen von etwa 25 Mio. Euro konnte ein Mediawert von über 1 Milliarde Euro erreicht werden (Quelle: Wikipedia, 2019).

Die Beispiele zeigen auch, dass Authentizität nicht durch Werbung allein generiert werden kann. Shackleton war glaubhaft, weil er bereits einen Ruf als Abenteurer und Forscher hatte, Audi ist glaubhaft, weil die Schanzen-Szene tatsächlich stattgefunden hat. Gesichert, aber eben doch aus eigenem Antrieb bewies Audi zweimal seine Schanzentauglichkeit vor internationaler Presse. Und Dove wird glaubhaft, indem es seine „inszenierte Authentizität“ zum Dauerthema macht und mit weiteren Inszenierungen untermauert, etwa dem Spot „Real Beauty Sketches“, der das erfolgreichste Online-Video seines Erscheinungsjahres war (Quelle: „Wahre Schönheit zeigt sich immer“, Think with Google, 2013)

Spricht man von Authentizität im Marketing, so beschreibt man damit die „Glaubwürdigkeit“ einer Kampagne ebenso wie die „Widerspruchsfreiheit“ einer Marke – nicht unbedingt den Verzicht auf werbliche Inszenierung. Ein Unternehmen bezieht Stellung, sagt wofür es eintritt, ist bereit diese Haltung öffentlich zum Diskurs zu stellen und setzt das Versprochene schließlich auch konsequent sichtbar im Unternehmensalltag um.

Es reicht also nicht, ein authentisches Versprechen abzugeben, man muss auch bereit und in der Lage sein, dieses einzulösen. Wenn beispielsweise Bayer derzeit versucht, sich mit „authentischen“ Mitarbeiteraussagen als Klimaschützer zu positionieren, bleibt das unglaubwürdig, solange die Nachrichten voll sind mit Schlagzeilen zu Glyphosat und Monsanto. Mit dem Druck der Imagekampagne „#voranbringen“ finanziert Bayer die Sichtbarkeit des eigenen Vertrauensbruchs.

Besser gelingt die authentische Inszenierung seit Jahren den Volks- und Raiffeisenbanken. Früher als „Bauernbank“ belächelt, nutzen die VR-Banken heute ihre Verwurzelung in der Region als Stärke. Mehr als alle anderen Banken sind sie in der Lage, echte Kunden mit echten Wünschen glaubwürdig zu Wort kommen zu lassen. Sie begeben sich auf den schmalen Grat zwischen konkretem Werbeversprechen und authentischer Lebensdokumentation. Die Kunden sagen, wofür sie eintreten und was sie antreibt. Mit diesem authentischen Kampagnenansatz betreuen die VR-Banken mittlerweile über 30 Millionen Menschen, von denen 17 Millionen sogar Mitglied der hinter den Banken stehenden Genossenschaft sind.

Werden Sie, was Sie sind: einzigartig.

Die Kommunikation über einen authentischen Ansatz gleicht der Suche nach der Unique Selling Proposition. Was ein Alleinstellungsmerkmal für ein Produkt vollbringen kann, kann eine Authentic Selling Proposition (ASP) für eine Marke noch besser.

Denn auch ein gutes Produkt hat es nicht immer leicht, sich zu differenzieren. Gut, oder auch „immer besser“ (Miele) zu sein, ist gerade bei ingenieursgetriebenen Unternehmen oft ein zentraler Antrieb. Die kommunikative Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass sich viele Produkte aus Sicht des Kunden kaum noch unterscheiden. Die Innovationen gehen in die Nuancen, eine Positionierung auf Produktebene wird zunehmend schwieriger. Eine authentische Positionierung kann die emotionale Steigerung zu der Forderung „sei besser“ sein, das Ziel dahinter: „werde einzigartig!“.

Gelingt eine authentische Positionierung, ist sie kaum nachzuahmen. Anders als eine Produktinnovation oder ein optischer Marketingtrend, bleibt eine ASP eine Alleinstellung, auch wenn der Wettbewerb qualitative Produktmerkmale schon lange kopiert. Und mehr noch als eine USP leistet (und bedingt) eine ASP eine langfristig angelegte Kommunikation. Ob Biomarke oder Bekleidung mit „Grünem Knopf“, wer heute für etwas eintritt, der kann nicht morgen für das Gegenteil stehen. Naheliegenderweise sind es Öko- und Nachhaltigkeitsthemen, zu denen eine authentische Positionierung passt. Aber Authentizität bietet Lösungen für viele Branchen und Produkte: das soziale Versprechen von Ernst Prost für Liqui Moly, der Qualitätsanspruch von Claus Hipp, die Selbstinszenierung Karl Lagerfelds sind nur drei Beispiele, wie Produktkommunikation durch eine authentische Haltung bereichert wird.

Und wie lange eine starke Unternehmermarke nachhallt zeigt (wie so oft) ein Blick auf Apple. Schon während Sie dies lesen, werden Sie an Steve Jobs denken oder vielleicht, wenn sie die Marke schon sehr lange lieben an Steve „Woz“ Wozniak, aber wie heißt der aktuelle CEO von Apple gleich noch mal? Es bleibt immer der sperrige Steve Jobs, dem wir in seinen Keynotes das „one more thing…“ abgenommen haben und niemals Tim Cook, der es zwar geschafft hat, die Marke Apple wirtschaftlich in völlig neue Höhen zu führen, dabei aber noch nie „eine Delle ins Universum geschlagen hat“ (Steve Jobs) – denn dafür braucht es eine authentische Haltung.