Warum Google, Facebook und Amazon offline werben
Fachartikel — 4. Januar 2019Christian Rechmann
Geschäftsführung | Strategie
Zum Ende 2018 kann man den Kampagnen der großen Onlineplayer kaum entgehen – wohlgemerkt den Offline-Kampagnen: auf Plakaten, Anzeigen, Prospekten, im Radio und im Fernsehen. Netflix wirbt für seine Programm-Highlights. YouTube macht seinen neuen Musik-Streamingdienst bekannt, Facebook versucht das angeschlagene Vertrauen wiederherzustellen und Google wetteifert mit Amazon um die Vorteile ihrer Sprachassistenten.
Seit einigen Jahren erklären Online-Unternehmen die klassischen Medien für tot. Print sei tot, weil die Auflagen zurückgehen, TV liege im Sterben, weil Streaming an Bedeutung gewinnt, die Tageszeitung gilt bereits als beerdigt und Beilagenwerbung sei ein auslaufendes Modell. Solche und ähnliche Behauptungen werden verstärkt immer dann in die Welt gesetzt, wenn es darum geht, den online Anteil im Werbemix zu erhöhen.
Wenn es so wäre, dass die klassischen Medien keine oder nur überteuerte Reichweite brächten, wohingegen einzig Onlinekanäle effiziente Kontakte erzeugen würden, dann lautet die Frage doch: Warum entscheidet sich Amazon, Facebook, Google, Netflix und YouTube verstärkt für die Nutzung klassischer Medien? Wieso wirbt ein digitaler Shop für ein digitales Produkt nicht ausschließlich oder wenigstens schwerpunktmäßig in digitalen Medien? Wieso nutzt Google für seinen neuen Musikkanal YouTube Music Out-of-home und nicht nur das hauseigene Display Netzwerk? Und wieso entscheidet sich Facebook, das verloren gegangene Vertrauen über ganzseitige Anzeigen in FAZ, Stern und Spiegel zurückgewinnen zu wollen?
Für die Antwort auf diese Fragen braucht es einen ehrlichen Blick auf die Stärken und Schwächen der jeweiligen Medien.
Klassik kann Reichweite, online kann Conversion.
Weil Interesse unsere Wahrnehmung steuert, gelingt es guten Onlinemedien sehr erfolgreich ein einmal geoutetes Interesse, aufzunehmen und weiterzuführen. Einem Nutzer, der bereits nach dem Sprachassistenten „Alexa“ gesucht hat, können Google und Amazon so gezielt relevante und interessante Informationen zuspielen, dass dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer bewussten Entscheidung – sei es für oder gegen den Kauf von Amazon Echo – kommt. Einem Nutzer jedoch, der online gerade mit etwas völlig anderem beschäftigt ist, kann die Werbung für denselben Sprachassistenten kaum greifen.
Amazon weiß wie schwierig es ist, Menschen auf ein Thema zu führen, wenn sie sich gerade nicht dafür interessieren. Google kennt die durchschnittliche Klickrate einer Bannerkampagne: Sie liegt ca. 0,4%, mit einer Bouncerate von 50% – das bedeutet, nur vier von 1.000 erreichten Kontakten klicken auf ein Banner, zwei davon absichtlich. Die anderen 996 Personen hatten nicht etwa einen beiläufigen Kontakt, sondern nehmen die Bannerfläche gar nicht wahr – man spricht von „Banner-Blindness“.
Hier liegt ein großer Unterschied zu Plakatflächen, Anzeigen, TV- und Radio-Spots. Anzeigen und Plakate werden auch beim Überblättern oder Vorbeifahren gesehen. In den durchschnittlich zwei Sekunden beiläufiger Wahrnehmung kann eine Grundidee von Marke und Angebot vermittelt werden, die über eine wiederkehrende Wahrnehmung zu einer positiven Grundstimmung der Marke gegenüber führen. Diesen „mere-exposure“ benannten Effekt kann man für Banner kaum und für Textanzeigen gar nicht reproduzieren. Ebenfalls beiläufig schleicht sich Radiowerbung in unserer Wahrnehmung. Da wir zwar aktiv wegschauen, aber nicht absichtlich weghören können, wird einen Radiospot immer wahrgenommen, solange er technisch zugestellt wird – ein Fakt, den online Werbeflächen mit Pop-Ups und Overlay-Ads nachzuahmen versuchen, dabei jedoch lediglich die Nutzung von Adblockern in die Höhe treiben.
Die passivere Nutzung von Offlinemedien, insbesondere bei Radio und Fernsehen, zeugt einerseits von weniger Involvement, führt aber andererseits zu einer längeren Aufmerksamkeitsspanne. Wo online jede interessantere Botschaft stets nur eine Fingerbewegung entfernt ist, sind Fernsehen, Radio, Plakat und Zeitschriften, als lineare Medien auch durch Weiterblättern nie endlos.
So kommt es zu dem Prospekt für Amazon Echo und Alexa; auf 12 Seiten, in Wohn- und Technikzeitschriften beigeheftet, erreicht er seine Leser zu einem Zeitpunkt, in dem sie sich tatsächlich für Technik und Wohnen interessieren und in dem sie bereit sind und die Zeit haben, längere Inhalte aufzunehmen.
Vertrauen ist der Anfang von allem.
Wenn Facebook und Amazon verstärkt in Werbung in Printmedien investieren, so tun sie das aus einem weiteren Grund: Sie suchen Vertrauen. Im Falle von Facebook geht es darum, verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen, Amazon will das Vertrauen in Alexa stärken, die bereits für „permanentes Mithören“ in der Kritik stand. Beide Marken bewegen sich daher in die Medien, deren Inhalten das größte Vertrauen entgegengebracht wird. Printmedien liegen laut aktueller Ergebnisse von Best4Planning (b4p) auf Platz eins unter den als „sehr vertrauenswürdig“ eingestuften Quellen (76% der Befragten halten Printmedien für sehr vertrauenswürdig). Gerade der Vergleich zu den Werten digitaler Dienste zeigt, wie gut eine Marke daran tut, sich in dieses vertrauensvolle Umfeld zu begeben. Wenn über ein Ereignis in Print und in sozialen Medien sehr unterschiedlich berichtet würde, dann verlassen sich 60% der Befragten Nutzer auf Zeitungen und Zeitschriften, wohingegen nur 7% digitalen Diensten wie Facebook oder Twitter Glauben schenken (Quelle: b4p Trends, 2018).
Man wünscht sich Fords 50 Cent zurück.
Über die Effizienz der (damals ausschließlich klassischen) Werbung wird gestritten, seitdem Henry Ford die Hälfte seiner Werbung als „hinausgeworfenes Geld“ bezeichnete. Wenn er auch nicht wisse, welche Hälfte* (Zitat Henry Ford: „Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.“). Onlinevermarkter und Werbeagenturen sind mit dem Versprechen angetreten, dieses „50% Dilemma“ mithilfe von Cookies und Targeting aufzulösen. Die Messbarkeit von Views und Klicks hat dazu geführt, die Wirkung von online Medien über zu bewerten. Dass dieses Wirkungsversprechen nicht erfüllt wird, wissen wir spätestens seitdem Procter & Gamble, Ende 2017 die Summe an digital investierten Werbegeldern um 100 Millionen Dollar reduziert hat, ohne einen Absatzrückgang zu bemerken. Danach befragt, was P&G dazu bewogen hat das Digitalgeld so radikal zu kappen, antwortet der Marketingchef Marc Pritchard mit dem Hinweis auf mangelnde Transparenz und geringe Sichtbarkeit seiner Werbemaßnahmen. (Handelsblatt, 08.12.2017, Interview mit P&G Marketingchef Marc Pritchard). Bei so einem Ergebnis sehnt man sich fast nach dem zu Hälfte richtig investierten Dollar von Henry Ford zurück.
Online Reichweite überschätzt?
Nicht nur die Wirkung von online wurde über die letzten Jahre ungeprüft großgeredet, auch ihre Reichweite wird überschätzt.
Zu jedem Jahresende stellt YouTube die beliebtesten deutschen Werbeclips für das vorangegangene Jahr vor. Die Top Ten der erfolgreichsten Clips 2018, haben es auf insgesamt etwas mehr als 100 Millionen Views gebracht. Jeder der 10 Top-Spot wurde also im Erhebungszeitraum eines Jahres durchschnittlich 10 Millionen Mal angesehen. Was auf den ersten Blick nach hoher Reichweite klingt, relativiert sich, sobald man es gegen TV Kampagnenwerte legt: ein einzelner prominent platzierter TV-Spot vor Fußball- oder Formel 1-Übertragungen erreicht ähnliche Werte bei einer einzigen Ausstrahlung und nicht erst im Laufe eines Jahres.
Und bis auf sehr wenige Ausnahmen sind die Werbespendings hinter den „erfolgreichsten YouTube Spots“ nicht geringer, als die Investitionen für eine vergleichbare TV-Reichweite, nur nennen wir die Spendings dort „Seeding“.
Sogar die Bedeutung von online am Gesamtwerbeumsatz ist geringer, als allgemein angenommen. Die permanente Verwechslung von Wachstumsraten und absoluter Größe hat dazu geführt, dass Fernsehen, Radio und Zeitschriften als ausblutende Kanäle gesehen werden, wohingegen online in Werbegeldern zu schwimmen scheint. Dass dem nicht so ist, davon können alle Verlage beim Vergleich zwischen Printeinnahmen mit ihrem Online erwirtschafteten Werbegeldern ein Lied singen. Bis auf Facebook und Google verdient kaum jemand online relevantes Werbegeld und selbst in Summe liegt der Online-Invest weit unter den 25%, die sich Google in Beratungsgesprächen mit Werbepartnern wünscht.
Wirkung ist nicht gleich Wirkung.
Es geht nicht darum Online oder Offline als die bessere Strategie zu bewerten. Vielmehr geht es darum, den Medien im Sinne einer Customer Journey die richtige Relevanz und Reihenfolge in einer Kampagne zuzuordnen.
Wer heute erfolgreich seine Zielgruppen ansprechen will, kommt um einen medienübergreifende Marketingmix nicht herum. Jede Werbewirkungsstudie belegt aufs neue, dass Mix-Pläne mehr aus den investierten Werbegeldern herausholen, als es monomedial geplante Kampagnen vermögen.
Und für einen guten Mix muss man die Leistungen der jeweiligen Medien kennen.
Aus den geballten Werbeauftritten von Facebook, Google und Co. lässt sich ableiten, wie jene Firmen die über das beste Datenmaterial ihrer Nutzer verfügen und besser als die meisten mit diesen großen Daten umzugehen wissen, auf den größten Return für ihre investierten Euros hoffen: mit großen klassischen Kampagnen erzielen sie Reichweite, greifen dann gezielt die dadurch generierten Interessen ab. Es sind online Werbemittel, die ein Interesse optimal greifen und den Interessenten zur gesuchten Produktinformation führen, aber vor allem offline Kanäle, sind in der Lage, dieses Interesse zu wecken.
Der Artikel ist in einer gekürzten Fassung als Gastbeitrag bei horizont.net erschienen: