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Die Human Ressource-Kampagne der Bundeswehr: was wirklich zählt.

Fachartikel — 6. Dezember 2019

Christian Rechmann

Geschäftsführung | Strategie

Die Bundeswehr versucht seit einigen Jahren über eine große Employer Branding Kampagne neues Personal zu gewinnen. Kürzlich durfte ich für eine Gruppe junger JournalistInnen zu einigen Aspekten dieser Strategie Stellung nehmen. In ihrem sehr lesenswerten Beitrag „Between Counter-Strike and Comradeship“ gehen sie der Frage nach, wie die Bundeswehr nach einer zeitgemäßen Identität sucht, um junge Menschen für eine Laufbahn beim Militär zu interessieren. Aus diesem Gespräch hat sich eine zentrale Frage entwickelt: Wie erfolgreich erreicht die Human Ressource (HR)-Kampagne der Bundeswehr tatsächlich ihre verschiedenen Zielgruppen?

Die Bundeswehr hat nicht mehr genügend Soldaten

Mit dem Ende der allgemeinen Wehrpflicht ging der Personalstamm bei der Bundeswehr signifikant zurück. Es fielen nicht nur die Grundwehrdienstleistenden weg, auch die Zahlen der freiwillig Wehrdienstleistenden sowie der Berufs- und Zeitsoldaten sanken deutlich. Letztendlich schaffte die Zeit in der Wehrpflicht ein Bewusstsein für die Möglichkeit, die Laufbahn eines Zeitsoldaten zu ergreifen. Doch nun fehlt der Truppe der fast schon „automatische“ Nachwuchs. In dieser Situation ist es eine nachvollziehbare Entscheidung, eine Kampagne zur Gewinnung neuer Soldaten und Soldatinnen aufzusetzen.

Statistik: Entwicklung des Personalbestands der Bundeswehr von 2000 bis 2019 (Stand Oktober) | Statista
Quelle: Statista

Neue Aufgaben brauchen neue Mitarbeiter

Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich verändert und gehen heute über den Heimatschutz und die Verpflichtungen aus EU und NATO hinaus. Internationales Krisenmanagement, humanitäre Not- und Katastrophenhilfe sind mittlerweile ebenso wichtig. Und in der gesellschaftlichen Akzeptanz der Truppe sogar noch bedeutender. Insofern ist es ein zentrales Ziel einer Human Ressource-Kampagne der Bundeswehr, neben SoldatInnen für den Kampfeinsatz vor allem AkademikerInnen, MedizinerInnen und IT-Fachleute zu begeistern. Ursula von der Leyen, zum Start der Kampagne als Verteidigungsministerin verantwortlich für die Personalsuche, postulierte: „Die Bundeswehr braucht die fähigsten Köpfe.“

Diese „fähigsten Köpfe“ lassen sich in drei Zielgruppen gliedern:

1.  Frauen, die in der Vergangenheit bei der Bundeswehr deutlich unterrepräsentiert waren, da es ihnen erst seit 2001 erlaubt ist, den Dienst an der Waffe auszuüben. Hier können bisher unerschlossene Potentiale freigesetzt werden.

2. Zivile ExpertInnen, welche die Bundeswehr mit ihrem Wissen fachlich bereichern.

3. Unentschlossene Berufssuchende, die bisher nicht auf die Idee gekommen sind, dass die Bundeswehr als Arbeitsplatz etwas für sie zu bieten hat.

Darüber hinaus prägt eine Kampagne mit einem Budget von knapp 35 Mio. Euro auch das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit.

Die Kampagne erreicht die falsche Zielgruppe

Man mag der Bundeswehr und der betreuenden Agentur unterstellen, dass sie bei der Findung der beiden Kampagnen Claims „Mach, was wirklich zählt“ und „Folge Deiner Berufung“ noch alle drei Zielgruppen vor Augen hatten. „Mach, was wirklich zählt“ beinhaltet beispielsweise auch die Idee, als Arzt im Auslandseinsatz dort zu helfen, wo man wirklich gebraucht wird und mit „Folge Deiner Berufung“ wird der innere Antrieb adressiert, als Mensch etwas Sinnvolles tun zu wollen.

Zu den Dingen, die für die Kampagne „wirklich zählen“, gehört dann unter anderem auch #führen und #kämpfen. Und zwar nicht irgendwo, sondern der Motivanmutung folgend eher im Schwarzwald als am Hindukusch. Eine sehr lesenswerte Bildanalyse dazu findet sich hier.

Weit laufen und eine Waffe bedienen können, scheinen auch die Kernanforderungen an die Teilnehmer der Youtube-Serien „Mali“, „Die Rekruten“ und „Die Rekrutinnen“. Die Umsetzung inszeniert Krieg als die harte Version eines Abenteuerurlaubes – in einer Optik zwischen Doku-Soap und Egoshooter. Auch die gewählten Testimonials zeigen, wen die Absender ansprechen: der Bodybuilder Ralf Möller, der TV Moderator Nico Schwanz, ein DSDS Gewinner und ein Ex-Playmate werben für einen Besuch beim „Tag der Bundeswehr 2019“.

Insgesamt scheint die Kampagne vor allem junge SoldatInnen für einen Kriegsfall rekrutieren zu wollen und ist dafür bereit, zur moralischen Grenzüberschreitung. Da wird in Plakaten anlässlich der Spielemesse Gamescom ein Kampfeinsatz euphemistisch zum „Multiplayer“ und das Krisengebiet zur „Open World“. Auch in den begleitenden Youtube-Formaten sucht man die Nähe zum Gaming. Wenn beispielsweise für die „Survival“-Staffel eine junge Offiziersfrau namens Chrissi vorgestellt wird, dann tickern ihre besonderen Fähigkeiten ins Bild. Ganz in der Ästhetik von Computerspielen, die in ähnlicher Optik ihre Avatare mit neuen Skills ausstatten. Diese Nähe zu Ego-Shootern und die damit einhergehende Verharmlosung ist offensichtlich bewusst gewählt.

All diese Werbemaßnahmen stehen in einem deutlichen Widerspruch zum formulierten Anspruch bei der Personalsuche. Folgt man Hauptmann Dirk Klages, Personalgewinnungsoffizier bei der Bundeswehr, so beschreibt dieser die Aufgabe gegenüber dem bayerischen Fernsehen. Er suche „(…) Leute mit klarem Verstand, die sehr sensibel sind im Umgang mit der Waffe und wissen, wann sie die Waffe einzusetzen haben – nämlich nur im absoluten Notfall (…).“ (Quelle: BR, 2017). Wie sich diese Aussage mit der Entscheidung im Gaming-Umfeld zu werben und mit dem Hashtag „kämpfen“ verträgt, erschließt sich niemanden, der länger als zwei Minuten darüber nachdenkt.

Akademiker werden nicht angesprochen

Mit solchen Kampagnenformaten und -botschaften wird eine ausbildungstechnisch höhere Zielgruppe nicht zu erreichen sein. Das mag auch der Grund sein, warum die „Trendwende Personal“, wie von der Leyen die neue Personalstruktur getauft hat, so gar nicht gelingen mag. Bis 2024 sollten demnach 12.000 zusätzliche Mitarbeiter angeworben werden, doch die Zahl der Soldaten stagniert und die der zivilen Angestellten ist trotz der Kampagneninvestitionen rückläufig. (Quelle: Business Insider, 2019).

Fairerweise darf man für die schlechten Bewerberzahlen nicht allein die Kampagne verantwortlich machen. Während man hier versucht, der Truppe einen modernen Anstrich zu geben, überlagern schlechte Nachrichten das Bild in den Medien: Probleme mit dem Eurofighter, nicht funktionierende Sturmgewehre, fehlende Schutzwesten und liegen gebliebenen Panzern werden viele potentielle Rekruten ebenfalls abschrecken.

In der Öffentlichkeit kontraproduktiv

Eine aufgeklärte Öffentlichkeit wünscht sich Soldaten mit einer gewissen menschlichen Reife, die im Einsatzfall ruhig und überlegt handeln. Actionhelden, die den Hashtags „#kämpfen“ folgen, um die eigenen Grenzen in einer „open world“ kennenzulernen widersprechen diesem Auftrag. Und dieser Widerspruch stellt sich als Reaktion auf die Kampagne auch regelmäßig ein.

Zum Beispiel, nachdem die Suche nach Sanitärfachkräften mit der wohl lustig gemeinten Zeile „Gas, Wasser, Schießen“ betrieben wird und die Bundeswehr sich zurecht den Vorwurf mangelnder Geschichtssensibilität gefallen lassen muss. „Ich finde es empörend und völlig unangemessen (…). Das Wort Gas im Zusammenhang mit Schießen und Militär lässt wenig Fingerspitzengefühl und geschichtliches Bewusstsein bei den Verantwortlichen erkennen“, kritisierte neben anderen der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms. (Quelle: evangelisch.de) und fordert die Bundeswehr auf, die Kampagne zu stoppen. Sieht man Brahms als einen Vertreter der wahrnehmenden Öffentlichkeit, kann man von einem medialen Gau sprechen.

Moral und Ethik spielen für die gesellschaftliche Wahrnehmung der Truppe letztendlich eine sehr viel wichtigere Rolle als der bloße Marketingerfolg bei Nachwuchsrekruten. Gerade wenn es um das Thema „Töten“ geht (und „Schießen“ beschreibt lediglich die Millisekunde vor dem Töten) ist besondere Sensibilität gefragt. Nicht nur in der Außenwirkung, sondern auch in der Wirkung nach innen. Dazu noch einmal der für Personalgewinnung zuständige Offizier:

Scheinheiliger Umgang mit Kritik

Wo die Kampagne sich direkt an die allgemeine Öffentlichkeit richtet, gibt sich die Bundeswehr liberal und weltoffen. Mit dem Slogan „Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst“ wendet sich die Kampagne direkt an die Kritiker. Dafür wurde ein Adbusting, ein kritisch verfremdetes Motiv, neben einem Originalplakat gezeigt und als Beweis für den gelassenen Umgang mit Meinungsfreiheit angeführt. Das Ganze erscheint zunächst als Anzeige in „Die Welt“ (vom 16.11.2017), später auf Facebook. Wenigstens hier wird erwähnt, dass das Plakat auf einem Original-Protest „basiert“, für die Anzeige jedoch „reproduziert“ wurde. Der Anzeige selbst fehlte dieser Hinweis. Tatsächlich hat es das Motiv der nebeneinander hängenden Mali/Bali Plakate nie gegeben. Das Plakat wurde für die Anzeige selbst verfremdet und in das Bild einer Unterführung eingesetzt. Das Originalmotiv ist eine gerenderte Bildvorlage von istock, in welche die beiden Plakate einkopiert worden sind.

Man hätte sich diese Mühe sparen können, denn tatsächlich hat die Kampagne einen regelrechten Shitstorm an kritischen Motivverfremdungen nach sich gezogen. Vermutlich waren deren Aussagen wie „Bombing for Peace is like Fucking for Virginity“ oder „Ausbeutung gewaltsam Verteidigen. Ihre Bundeswehr“ dann doch zu kritisch, als dass man sie auf einer eigenen Werbefläche hätte abdrucken wollen. Also wurde kurzerhand ein harmloses Adbusting kopiert. Bali statt Mali, ein Bier dazu und irgendwas mit Surfen – wer könnte da schon dagegen sein. Damit den Beweis für die Offenheit der Kampagne antreten zu wollen, ist jedoch mehr als ein Kavaliersdelikt. Die Botschaft eines politischen Gegners zu verfremden, um sie dann zu verunglimpfen, ist eine Methode der Fake News Generierung und gerade im militärischen Kontext hat diese eine hochproblematische Vergangenheit. Diese Entstehung des Motivs dreht damit seine eigentliche Botschaft ins Gegenteil: Die Bundeswehr kämpft mit dieser Kampagne eben nicht für Meinungsfreiheit, sondern versucht sich an der gezielten Beeinflussung mithilfe von Fake-News.

Beispiel eines echten Adbustings, weitere Motive unter blogbuzzter.de

Dass man für die echten Adbustings tatsächlich weniger Verständnis hat, lässt sich im Bundeswehr Journal nachlesen. Hier wird der „merkwürdigen Hetzkampagne“ vorgeworfen, die „millionenschwere Kampagne“, zu „entwerten“ (Vergleiche Bundeswehr-Journal).

Parallel zu dieser Kampagne spricht von der Leyen auf einer Bundeswehrtagung 2018 davon, dass „Fake-News-Kampagnen um Unruhe zu schüren“ eine der „hybriden Bedrohungen“ der Zukunft sind, auf die sich die Bundeswehr einstellen müsse. Wie gut, dass die eigene Truppe bereits übt, solche Fake-News zu produzieren.

Nicht nur nicht erfolgreich, sondern gefährlich

Mit Launch der Recruiting Kampagne, stellte von der Leyen die Frage „Wo sind die Menschen, die zu uns passen, aber sich nicht von uns angesprochen fühlen?“. Nach „Mach, was wirklich zählt“ möchte man antworten: Diese Menschen gibt es, aber sie werden sich mit dieser Kampagne auch weiterhin nicht angesprochen fühlen.

Denn wer sich ernsthaft mit der Lebensentscheidung befasst, Soldat zu werden, möchte wissen, wofür er oder sie sich einsetzt. Und wofür es sich lohnt, das eigene Leben zu riskieren oder zu töten. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen stünde einer Kampagne mit dem Motto „was wirklich zählt“ gut. Wenn die Bundeswehr jedoch die eigenen Leistungen in die Nähe von Entertainment, Abenteuerurlaub und Killerspielen rückt, werden Personen angesprochen, die den Umgang mit Waffen und die Nähe zur Grenzerfahrung reizvoll finden.

Gerade vor dem Hintergrund der hohen militärischen Ambitionen unserer gegenwärtigen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, sollte das Employer Branding für die Truppe noch einmal ganz neu gedacht werden. Sonst steht die Bundeswehr nicht nur mit zu wenigen Soldaten an der Front, sondern auch mit den falschen.


Bildnachweis: bundeswehr.de, statista.de, youtube.com, istockphoto.com, blogbuzzter.de, unsplash.com

Das Interview, das diesem Artikel vorausging, führten Selina Oberpriller, Sandra Lohse, Julia Leiber and Matthias Reinelt. In Auszügen nachzulesen in ihrem Beitrag „Between Counter-Strike and Comradeship“.