For Sale

The Winner takes it all

Fachartikel — 8. Februar 2021

Christian Rechmann

Geschäftsführung | Strategie

Wir kennen das Winner-takes-it-all-Prinzip im Zusammenhang mit der Wahl des amerikanischen Präsidenten. Es beschreibt, dass die- oder derjenige, der die Mehrheit in einem Staat gewinnt, alle Wahlmänner des betreffenden Staates für sich gewonnen hat, selbst wenn der Vorsprung gering ist. Auch die Biologie kennt einen Winner-takes-it-all-Effekt: Die Tatsache, dass 1% aller Pflanzen in etwa 50% der Biosphäre für sich in Anspruch nehmen, wird darauf zurückgeführt, dass diese Pflanzen in der Evolution irgendwann einen kleinen Vorsprung hatten. Und dieser ermöglichte es ihnen, sich deutlich besser als andere Pflanzen auszubreiten, gewissermaßen „alles“ für sich zu vereinnahmen.

Ein ähnliches Phänomen können wir auch im Marketing beobachten und nutzen.

Winner-takes-it-all im Onlinemarketing

Im Zusammenhang mit großen Onlinemarken beschreibt „the Winner takes it all“, dass mittelfristig nur jeweils eine Marke einen Markt für sich entscheiden kann. Es gibt nur eine relevante Suchmaschine, nur einen weltweit erfolgreichen Onlineshop und im Bereich Social Media bleibt neben Facebook (mit WhatsApp und Instagram) nur noch Platz für Nischenangebote wie Snapchat oder TikTok als Treffpunkt besonders junger NutzerInnen (gewissermaßen schon ein eigener Markt).

Warum das so ist? Weil sich Skalen- und Netzwerkeffekte auf Plattformen multiplizieren kann der größere Player nach einer Weile die bessere Dienstleistung anbieten, zum besseren Preis, mit dem breitesten Angebot. Und sollte er diesen Vorsprung zu verlieren drohen, ist er – ob seiner Marktmacht – in der Lage einen aufkommenden Wettbewerber zu schlucken, wie das beispielsweise Facebook mehrfach getan hat. Die Wissenschaft spricht von einem akkumulativen Vorteil. Was als ein kleiner Vorsprung beginnt, kumuliert sich im Laufe der Zeit zu einem nahezu nicht einholbaren Vorteil.

Winner-takes-it-all im Branding

Jüngere Neuromarketing Studien zeigen, dass das Winner-takes-it-all-Prinzip sehr viel umfangreicher gilt als bisher angenommen. Christine Born und KollegInnen konnten nachweisen, dass starke Marken im Gehirn immer im gleichen Areal verortet werden, unabhängig von ihrer Branche. Es gibt also einen Bereich im Gehirn, an dem die „Gewinner“ einer Kategorie abgelegt sind.

(Christine Born et al.: „Brain Branding: eine neurowissenschaftliche Betrachtung starker Marken, erschienen in: Focus Jahrbuch 2007, Schwerpunkt: Neuroökonomie, Neuromarketing und Neuromarktforschung, FOCUS-Magazin-Verlag, München, 2007)

Warum das so ist? Es gilt als nachgewiesen, dass uns starke Marken dazu dienen, das Gehirn zu entlasten, indem sie Bewertungen vereinfachen und so Entscheidungen beschleunigen. Dies betrifft allerdings jeweils nur eine einzige favorisierte Marke pro Kategorie – auch hier finden wir also einen Winner-takes-it-all-Effekt.

Die Winner-These im Wahrnehmungstest

Auch im klassischen Marketing kennen wir den Winner-Effekt. Ein kurzer Selbsttest dazu: Im Headerbild finden sich ein halbes Dutzend Markensignets. Welche davon können Sie aktiv erinnern? Wahrscheinlich den Nike-Swosh über dem Zielbogen? Weil er am größten abgebildet und darüber hinaus mehrfach im Bild ist und weil er zum Thema „Zieleinlauf“ passt. Interessant ist aber ebenso, an welche Logos wir uns nicht erinnern. Haben Sie UniCredit gesehen, Polaroid wahrgenommen, EthicSport gelesen oder KPMG entdeckt? Wahrscheinlich nicht, denn das starke Nike-Logo hat die Aufmerksamkeit ganz für sich allein beansprucht.

Gerade im Sport Sponsoring kann man gut beobachten, wie es ist, eine der weniger prominenten Co-Branding-Marken zu sein. Welcher Sponsor fällt Ihnen zu RB Leipzig ein? RedBull, schon klar, aber wer noch? Wieviel Sinn macht es also für VW, Unibet, die Gröner Group (das Logo ist sogar auf den Trikots, nur leider kennt es kaum jemand) und Nike den RasenBallsport Leipzig e.V. zu unterstützen? Interessanterweise noch mal Nike, diesmal als Verlierer im Kampf um die Wahrnehmung, denn RedBull gelingt es, die ganze Wahrnehmung auf sich zu vereinen. Es reicht also nicht eine starke Marke zu sein, vielmehr muss eine Marke im konkreten Anwendungsbereich die stärkste Marke sein, denn, Sie wissen es mittlerweile … the Winner takes it all.

Marketing mit Winner-takes-it-all-Effekt

Um die kleinen kumulativen Vorteile früher anzusammeln als es Wettbewerber tun können, hilft es, der erste innerhalb einer Produktkategorie zu sein. So wie die ersten Pflanzen mehr Sonnenlicht erhalten, so erhalten (echte) Produktneuheiten mehr Aufmerksamkeit. Beobachten Sie sich kurz selbst dabei, wie lange Sie brauchen, um neben RedBull einen zweiten Energydrink benennen zu können.

Volkswagen betont in letzter Zeit gerne, mehr Elektroautos zu bauen als Tesla. Aber wird VW dadurch als Treiber der Elektromobilität wahrgenommen? In der Wahrnehmung der Kunden ist Tesla nicht nur der Erfinder, sondern auch unangefochtener Marktführer im Bereich E-Autos.

Kommunikativ bedeutet dies, die eigene Vorreiterschaft zu betonen. Coke ist bis heute „the real thing“ (obwohl der Slogan von 1969 ist), Mercedes „der Erfinder des Automobils“, der Q7 kommt „Vom Erfinder des Quattro“ und das Smartphone kommt von… Tatsächlich belegt Apple, auch über 10 Jahre nach Erfindung des iphones mit dem iPhone XR und dem iPhone 11 sowohl den ersten als auch den zweiten Platz der meistverkauften Handys in Deutschland. Ebenso interessant ist, dass neun der zehn meistverkauften Geräte ausschließlich von zwei Herstellern stammen: Apple und Samsung.

Auch hier greift eine Winner-takes-it-all-Regel. Hat eine Hersteller und damit sein Betriebssystem erst einmal das Vertrauen eines Kunden gewonnen, verliert dieser jede Lust, sich an ein neues System zu gewöhnen. In Kombination mit Sorgen wie „wie bekomme ich meine Fotos auf das neue Telefon“ und „wie ziehe ich meine Kontakte um“ bleibt er einem Herstellersystem mit jedem neuem Handy treu, ohne die Alternativen außerhalb dieses Kosmos überhaupt zu prüfen. Seine Kaufentscheidung lautet nicht mehr „welches Smartphone kaufe ich mir als nächstes?“, sondern „welches iPhone kaufe ich mir als nächstes?“.

Wir kennen dieses vereinfachte Entscheiden auch aus sehr viel alltäglicheren Situationen, als es der Kauf eines neuen Handys ist: Nach welcher Milch greifen wir im Supermarkt? Egal welche Marke Sie jetzt im Kopf haben, es wird immer wieder die gleiche sein. Es sei denn – und das ist die für das Marketing wichtige Ausnahme – wir entscheiden bewusst neu. Dann kann es passieren, dass wir die Marke wechseln, vielleicht weil wir gehört haben, dass die halbfette Milch besser schäumt, weil wir schon länger mal Hafermilch ausprobieren möchten oder weil wir von nun an Bio-Milch trinken werden.

Genau hier ist der Moment, an dem das Marketing für die Alternative ansetzen kann. Jetzt kommt die Kommunikation für Samsung ins Spiel, um im oberen Beispiel zu bleiben. Hat Samsung nicht schon immer die bessere Kamera, hält hier nicht der Akku viel länger (und man kann ihn sogar tauschen) und baut Samsung nicht auch die Displays für Apple? Wenn wir bereit sind, über all das nachzudenken, wenn wir also eine explizite Entscheidung treffen und nicht nur automatisch nach der Milch greifen, nach der wir immer greifen, dann greift mit uns das jahrelange Marketing für die Alternative. Doch auch hier gilt: Es gibt nicht viele zweite Plätze, sondern meist nur eine echte Alternative.

Handlungsempfehlungen für Winner, Wettbewerber und alle anderen

Man müsse „seinen Platz auf der Leiter kennen“ schrieben die Autoren Ries und Trout zum Thema Positioning bereits vor 30 Jahren. (Al Ries, Jack Trout, „Die 22 unumstößlichen Gebote im Marketing“, Ullstein Taschenbuch, 2001, im Original erstmals erschienen 1993). Ob größter Player im Markt, wichtigste Marke im Kopf oder echte Alternative – Marken sollten entsprechend ihrer Position agieren.

Der Winner sollte sich seinen kumulativen Vorteil zunutze machen. Dafür betont er stets die eigenen Leistungen, seine Herkunft, seine Gründungsidee, seine Innovationsführerschaft. Winner müssen nicht in allen Parametern alle Konkurrenten deklassieren, es genügt, wenn sie über einen Zeitraum hinweg innerhalb der eigenen Kategorie meist ein wenig besser sind. Dafür sind unmittelbare Vergleiche mit den Mitbewerbern im Markt in der Regel nicht empfehlenswert, um diese durch den Vergleich nicht unnötig aufzuwerten.

Der starke Wettbewerber hingegen sollte den Vergleich suchen, mit dessen Hilfe er sich vom Marktführer abgrenzen und als die „bessere Alternative“ präsentieren kann. Er betont das Neue, die Verbesserung, die jüngere Geschichte, so wie beispielsweise Pepsi es mit „Choice of a new Generation“ getan hat. So kann auch der Zweite ein Gewinner sein, wenn der „Autopilot im Gehirn“ (Christian Scheier) kurz innehält und das „langsame Denken“ (Daniel Kahneman) einsetzt.

Für alle anderen gilt die Empfehlung, sich kommunikativ in eine eigene Nische zu verorten. Um noch einmal an das RedBull Beispiel anzuknüpfen: Hätte RedBull versucht im Markt der koffeinhaltigen Limonaden zu punkten, wäre es wohl einfach nur eine weitere Cola geworden, mit der Positionierung als Erster im Markt der Energydrinks nahm die Erfolgsgeschichte von RedBull ihren Anfang.

Diese drei Grundregeln im Marketing gelten heute mit den Erkenntnissen des Neuromarketing mehr denn je als bestätigt, weshalb es nützlich ist, sich stets zu fragen, welchen Platz man einnimmt. Und wie es gelingen kann, als der Winner hervorzugehen, der sich zu guter Letzt „alles“ nehmen kann.

Der Artikel ist in einer gekürzten Fassung vorab erschienen bei horizont.net.